07. Dezember 2022

Gewässer als ganzjährige Wärmequelle

HSZG-Wissenschaftler forschen mit Partnern an grüner Fernwärme und entziehen dabei Flüssen und Seen Wärmeenergie.

Wärme von morgen nachhaltig gewinnen. Wie kann das mit kleinen Schneebergen zusammenhängen? In Zittau und Weißwasser forschen Wissenschaftler an grüner Fernwärme, indem sie Flüssen und Seen Wärme entziehen und das dabei abgekühlte Wasser, teils als Wasser-Eis-Gemisch, wieder zurückführen. „Das Wasser-Eis-Gemisch muss dabei nicht in das Gewässer zurückgeführt werden, sondern kann auch frei die Böschung hinab auslaufen. Da Eis leichter ist als Wasser, schwimmt es auf, sodass sich durch Separation Schneeanhäufungen bilden“, erklärt Thomas Gubsch.

Und genau diese zierten in den vergangenen Wochen das Flussufer der Mandau. In einer dort durch die Stadtwerke Zittau GmbH zur Verfügung gestellten Halle wurde bis Ende November im Rahmen des Projektes AQVA-HEAT fleißig geforscht. Thomas Gubsch ist Forschungsmitarbeiter beim Institut für Prozesstechnik, Prozessautomatisierung und Messtechnik (IPM) und arbeitet in einem Verbundprojekt gemeinsam mit dem Institut für Luft- und Kältetechnik aus Dresden und der BTU Cottbus-Senftenberg an der Entwicklung und Erprobung eines Vakuum-Flüssigeiserzeugers und Betrachtung der gewässerökologischen Auswirkungen auf das Gewässer.

Das Ziel: ganzjährig aus Oberflächenwasser effizient Wärme gewinnen und nutzen. Denn diese Wärme soll beispielsweise Fernwärmenetzen und Quartieren zugeführt werden.

Dafür steht eine ganz besondere Anlage von den Dresdner Kältetechnikern zur Verfügung. Unter Einsatz einer Vakuumkammer wird Wasser bei Temperaturen um den Gefrierpunkt zum Sieden gebracht, entstandener energiereicher Wasserdampf abgesaugt und im Anschluss wieder zum Kondensieren gebracht. Die Wärme wird schließlich an eine zentrale Großwärmepumpe bzw. an mehrere dezentrale Wärmepumpen geliefert und auf das benötigte Temperaturniveau angehoben.

Was genau ist das Innovative bei diesem Projekt? Und welche Zukunftspläne haben die Forscher? Im Interview gibt Thomas Gubsch einen Überblick über das Verfahren und spricht über die Aussichten für die nächste Projektphase.

Herr Gubsch, Oberflächenwasser aus Flüssen und Seen als alternativer Wärmequelle. Für wie effizient halten Sie diese Methode?

Das zur Anwendung gebrachte Vakuum-Flüssigeisprinzip ermöglicht die temperaturunabhängige Erschließung von Oberflächengewässern als ganzjährige Wärmequelle. Erste Erkenntnisse aus dem Kurzzeittest zeigen eine hohe Effizienz, vor allem bei niedrigen Gewässertemperaturen kann im Gegensatz zu einem herkömmlichen Wärmepumpenprozess ebenso planbar und zuverlässig Wärme bereitgestellt werden. Im Betrieb befindliche Anlagen dienen meist zur Deckung der Sommergrundlast, wohingegen hohe Heizlasten in der kalten Jahreszeit die große Herausforderung zum Erreichen der Energiewende im Wärmesektor darstellen. Das AQVA-HEAT-Konzept kann hierbei ein wichtiger Baustein sein.

Können Sie das Prinzip dahinter kurz erklären?

Das Flusswasser wird mittels einer im Saugkorb installierten Tauchpumpe zur Versuchsanlage auf dem Gelände der Stadtwerke Zittau GmbH gepumpt. Anschließend gelangt das Wasser in eine nahezu luftleere Vakuumkammer. Der darin vorherrschende Druck entspricht einem Luftdruck in ca. 28.000 bis 35.000 m Höhe. Hierbei werden nun die besonderen physikalischen Eigenschaften von Wasser genutzt – es kann unter Vakuumbedingungen gleichzeitig als Flüssigkeit, Dampf und Eis vorliegen. Durch einen speziell entwickelten Verdichter wird Dampf aus der Wasservorlage angesaugt , verdichtet und anschließend auskondensiert, wobei der Dampf die Wärme an einen nachgeschalteten Wasserkreislauf bzw. an eine Wärmepumpe abgibt. Das abgekühlte Flusswasser, teils als Wasser-Eis-Gemisch, wird anschließend wieder in den Fluss eingeleitet.

Der Einsatz von Wärmepumpen und das Verhalten von Wasser unter subatmosphärischen Bedingungen ist bereits erprobt. Was macht das Projekt so besonders?

Das besondere an diesem Konzept ist, dass der Vakuum-Flüssigeisprozess erstmals additivfrei über einen offenen Kreislauf an einem Gewässer eingesetzt wird. Neben der hohen Effizienz bei der Erschließung der Wärmequelle (Gewässer) kann das System ganzjährig eingesetzt werden, da neben der sensiblen Abkühlung auch latente Wärme in Form von Eis genutzt werden kann. Die Effizienz lässt sich durch die parallele Kältenutzung weiter steigern.

Welche Bedeutung hätte diese Art Wärme zu gewinnen für eine ehemalige Kohleregion, die jahrzehntelang Fernwärme von Braunkohle-Kraftwerken geliefert bekommen hat?

Die Technologie kann dabei helfen, vorhandene Fernwärmestrukturen schrittweise in grüne, regenerative Netze zu überführen. Neben der Transformation der Wärmeerzeugungs- und -verteilstruktur soll durch einen regional aufgestellten Interessensverbund die Schaffung neuer Wertschöpfungsketten vorangetrieben und ein Beitrag zum Strukturwandel in unserer Region geleistet werden.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem Institut für Luft- und Kältetechnik in Dresden?

Von Beginn an haben wir den gemeinschaftlichen Projektgedanken gemeinsam entwickelt. Die enge Zusammenarbeit mit Herrn Steffan und seinen Dresdner Kollegen zeigt nun erstmals Früchte und stimmt uns zuversichtlich, diese Technologie weiterzuentwickeln und schlussendlich ein marktfähiges Gesamtsystem zur Wärmeerzeugung auf Basis von Gewässerwärme bereitstellen zu können.

Hat das der Mandau wieder zugeführte kältere Wasser Auswirkungen auf den Fluss?

Hierzu wurde durch die Kollegen der BTU Cottbus-Senftenberg über Herrn Dr. Lessmann ein gewässerökologisches Monitoring durchgeführt. Neben der Aufnahme von Messreihen zur Temperaturverteilung und Sauerstoffkonzentration vor und nach der Wiedereinleitung des Flusswassers wurden Aufwuchsträger in der Mandau ausgelegt und nach deren Besiedlung auf mögliche Veränderungen untersucht. Erste Auswertungen zeigen den minimalinvasiven Einfluss der Technologie auf das Gewässer.

Um aus der Idee eine Zukunftstechnologie zu machen, soll voraussichtlich im kommenden Jahr die nächste Projektphase starten. Was haben Sie sich vorgenommen?

Im kommenden Jahr startet die zweite Projektphase des AQVA-HEAT-Projekts. Dabei soll am Standort in Zittau und in Weißwasser der Gesamtprozess entwickelt, beschafft und errichtet werden. An diese Investitionsmaßnahme schließt eine zwei- bis dreijährige Langzeiterprobung des Gesamtsystems inklusive des gewässerökologischen Monitorings an. Am Standort in Weißwasser soll das Verwaltungsgebäude der Stadtwerke mit Wärme aus einem nahegelegenen Teich versorgt werden. Parallel wird in Zittau die Wärmeeinspeisung in das städtische Fernwärmenetz erprobt und somit ein Beitrag zur zukünftigen Wärmeversorgung auf der Basis von Gewässerwärme geleistet. Neben den bisherigen Partnern soll die Begleitforschung ebenso von Kolleginnen und Kollegen des neu gegründeten Fraunhofer IEG unterstützt werden. Der wachsende Verbund soll auch durch die Kooperation mit regionalen, aber auch deutschlandweit aktiven Komponenten- und Systemanbietern gestärkt werden.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir als Forschende aktiv an neuen Lösungen zur Bewältigung der bevorstehenden Herausforderungen einer sicheren und ressourcenschonenden Energieversorgung arbeiten können. Mit dem AQVA-HEAT-System kann zukünftig ein Teil der benötigten Wärme auf Basis von Gewässerwärme aus regenerativen Quellen bereitgestellt werden.

Ganzjährig aus Oberflächenwasser Wärme gewinnen

Das Projekt AQVA-HEAT der Hochschule Zittau/Görlitz, der Luft- und Kältetechniker aus Dresden, der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg sowie der Stadtwerke Zittau und Weißwasser und dem Landkreis Görlitz ist nach mehrjähriger Vorbereitung im März 2021 gestartet und wird in 2023 in die zweite und dritte Projektphase eintreten.

Ihre Ansprechperson
Dipl.-Ing. (FH)
Thomas Gubsch
Institut für Prozesstechnik, Prozessautomatisierung und Messtechnik
02763 Zittau
Theodor-Körner-Allee 8
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Obergeschoss
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